Waren es in der Vergangenheit vor allem spektakuläre Kulturbauten wie das Museo de Arte Contemporáneo de Castilla y León“ und das Kunsthaus Bregenz“ die Europas renommierteste Auszeichnung für Architektur, den „Mies van der Rohe Award“, erhielten, so wurde die Ehrung zuletzt erstmalig zwei sozialen Wohnbauten zuteil. 2017 ging der mit 60.000 Euro dotierte (aufgrund des großen Aufwandes alle zwei Jahre vergebene) Hauptpreis an das Projekt De Flat Kleiburg“ im Amsterdamer Stadtteil Bijlmermeer. Die Teams „NL Architects“ und „XVW Architectuur“ zeichneten verantwortlich für den Umbau eines 400 Meter langen und 500 Wohnungen umfassenden Plattenbau-Relikts. Dem Projekt vorangegangen war eine Initiative der Bevölkerung gemeinsam mit den Architekten zur Rettung des vom Abriss bedrohten Betonmonsters. Auch im Zuge des Umbaus konnten die zukünftigen Bewohner die Größe – je nach Wunsch konnten auch mehrere Wohnungen zusammengelegt werden – und Anlage der Innenräume ihrer Wohnung mitgestalten. Im Außenbereich erfuhren vor allem die Durchgänge eine tiefgreifende Wandlung. Vergrößerte Verbindungsbereiche sorgen für mehr Transparenz. Zudem setzte man auf eine größere Offenheit zur Straße hin – weg von geschlossenen Lagerflächen.

Der Präsident des Architekturzentrum Wien (AzW), Hannes Swoboda, sprach bei der Eröffnung der Wanderausstellung in Wien im Bezug auf die Eingriffe in die bestehende alte Struktur des Gebäudes von einer sanften Veränderung, die neue Möglichkeiten schafft. In der Vergabe des Preises an das Projekt sieht er zudem Symbolcharakter. Sozialer Wohnbau sei laut Swoboda ein „Element der gesellschaftlichen Stabilität. Diversität und Flexibilität sollten im sozialen Wohnbau ermöglicht werden“.

Sozialer Wohnbau auch in Wien im Wandel?

Auch die Direktorin des AzW, Angelika Fitz, sieht in der Preisvergabe ein Zeichen „für eine Reorientierung der Architektur in Richtung einer gebauten Verteilungsgerechtigkeit und des Haushaltens mit Ressourcen.“ Dies sei auch für Wien ein wichtiges Thema. Denn viele der in der Stadt errichteten sozialen Wohnbauten, wie beispielsweise die Großfeldsiedlung oder die Rennbahnweg-Siedlung, seien mittlerweile in die Jahre gekommen und es erfordere Ideen wie zukünftig – auch im Hinblick auf eine nötige soziale Durchmischung – mit diesen Siedlungen umzugehen sei. Nicht nur diesbezüglich könne das Projekt De Flat Vorbildcharakter haben.

Dass Lebensqualität im Zuge von Wohnraum auch erschwinglich sein kann, beweist auch das Nachwuchspreisträger-Projekt „NAVES“ von MSA und V+. Die Architektenteams planten fünf Sozialwohnungen für kinderreiche und einkommensschwächere Familien im vielen vor allem durch Negativschlagzeilen bekannten Brüsseler Stadtteil Schaerbeek. Es ist das erste Mal, dass der Preis seit seiner Gründung 1988 an ein belgisches Architektenteam geht.

Österreichische Projekte (Österreich nimmt seit 1996 teil) finden sich aktuell hingegen keine unter den Finalisten. Im Architekturzentrum Wien werden die 18 eingereichten Projekte mit österreichischer Beteiligung – von der Volksschule Dorf Lauterach bis hin zu einem Loft in der Scheune (Hittisau) und dem Erste Campus Headquarter in Wien – dennoch ergänzend zu den Finalistinnen vorgestellt. Insgesamt wählte die Jury aus 355 Projekten aus 36 Ländern. Fotografien Modelle, Videos und Originalzeichnungen liefern noch bis Mitte Oktober im AzW spannende Einblicke in die Entwicklung zeitgenössischer Architektur.

Unter den Projekten, die in der Ausstellung vorgestellt werden, befinden sich auch das „Rivesaltes Memorial Museum“ in Frankreich von Rudy Ricciotti und die Erweiterung des „Museo de las Colecciones Reales“ in Madrid von Mansilla + Tuñón Arquitectos. Sie sind also doch noch vertreten, die Kulturbauten – wenn auch etwas stiller als zuvor.

Europas beste Bauten
Preis der Europäischen Union für zeitgenössische Architektur
Mies van der Rohe Award 2017
Noch bis 22. Oktober 2018
Architekturzentrum Wien – Ausstellungshalle 2
Museumsplatz 1
1070 Wien
Öffnungszeiten: Täglich 10:00 bis 19:00 Uhr
www.azw.at
http://miesbcn.com/prize/

Titelbild: MSA, V+: NAVEZ – 5 Sozialwohnungen, Brüssel, BE, Bild: Serge Brison

Geschrieben von Sandra Schäfer